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Der pädagogische Wert von Auslandsfahrten

Mehr als eine schöne Abwechslung

Mehrtägige Klassenfahrten ins Ausland und internationale Schulpartnerschaften schmücken jede Schule: Sie belegen die internationale Orientierung und bieten Gelegenheiten, in der Lokalpresse erwähnt zu werden. Schulintern gelten solche Aktivitäten allerdings oft als schmückendes Beiwerk und nicht als unverzichtbarer Bestandteil der Aufgaben einer Schule - zu Unrecht, wie Studien des Austauschforschers Professor Alexander Thomas zeigen.
Über die Realität an Schulen meinen viele Beobachter klar im Bilde zu sein: Lehrkräfte, die sich für den internationalen Schüleraustausch engagieren, gelten als reisefreudig, sind fachlich nicht ausgelastet oder wollen, zum Ärger ihrer Kollegen, nur dem tristen Schulalltag öfters mal entfliehen. Für die Schülerinnen und Schüler, so wird oft vermutet, sind internationale Schülerbegegnungen Events, auf denen sie sich austoben können, die Nacht zum Tag machen und dem Elternhaus oder dem Leistungsstress der Schule zumindest für einige Tage entkommen.
Da internationale Schülerbegegnungen im Klassenverband meist nur zwei bis vier Wochen dauern, gelten sie als Kurzzeitbegegnungen. Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 18 Jahren durchleben in dieser Zeitspanne weitreichende biologische, physische und psychische Entwicklungsphasen, in denen sich ihnen beispielsweise die Frage stellt, für was sie stehen, wie dies im Vergleich zu anderen Jugendlichen zu bewerten ist, was sie leisten - und was nicht. Auf diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass ein solcher Schüleraustausch einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Eher wird unterstellt, dass Schülerinnen und Schüler sich anschließend zwar des Ereignisses und einiger markanter Erfahrungen und Begebenheiten - die erworbenen Fremdsprachenkenntnisse ermöglichen es, sich im Gastland tatsächlich zu verständigen, und kurze Liebschaften mit einem Austauschpartner im Gastland sind auch nicht ungewöhnlich - noch erinnern, aber eben auch nicht mehr.
Alles weitere fällt dem Vergessen anheim und wird von anderen Ereignissen überlagert. So überzeugend und nachvollziehbar diese Einschätzung auf den ersten Blick auch erscheint -zutreffend ist sie nicht. Dies zeigen Studien über nachhaltige Wirkungen von kurzzeitigen internationalen Jugend- und Schülerbegegnungsprogrammen, die seit 2007 durch den »Forscher-Praktiker-Dialog zur internationalen Jugendarbeit« und Austauschorganisationen wie dem Bayerischen Jugendring durchgeführt wurden.
Wirkungen von Kurzzeitbegegnungen
Wenn Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt im Alter von 17 Jahren an einer internationalen Kurzzeitbegegnung teilnehmen und 10 Jahre später im Alter von durchschnittlich
27 Jahren nach ihren Erinnerungen befragt werden, können sie sehr genau schildern, wie das Programm im einzelnen verlaufen ist, was sie in der Zeit erlebt haben, wie das Erlebte auf sie gewirkt hat und wie sie die Erfahrungen entwicklungsbiografisch verarbeitet haben. Nach den Ergebnissen einer Studie, die 2007 veröffentlicht wurde, lassen sich eine Reihe von Langzeitwirkungen nachweisen. Zu den fünf wichtigsten Wirkungen gehören:
 
Selbstbezogene Eigenschaften und Kompetenzen (63 Prozent): Wirkungen gibt es in den Bereichen Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit.
 
Interkulturelles Lernen (63 Prozent), das folgende Bereiche einschließt: Die Perspektive eines an
deren übernehmen können, sich dessen bewusst sein, dass es Unterschiede zwischen Kulturen gibt, und ein vertieftes Wissen über die Eigen- und Fremdkultur haben.
 
Beziehungen zu Gastland und Gastregion (60 Prozent): Förderung einer positiv-emotionalen Beziehung zum Gastland bzw. zur Gastregion und der Bewohner dort sowie größeres Interesse an Gastland bzw. Gastregion und an anderen Kulturen.
 
Interkulturelle Kompetenz (52 Prozent), bezogen auf Gruppensituationen und vor allem Teamund Konfliktfähigkeit.
 
Fremdsprache (52 Prozent): Förderung der Fremdsprachenkompetenz sowie des Interesses und der Bereitschaft, eine Fremdsprache zu sprechen, zu erlernen und zu vertiefen.
Auf der Website www.jugendaustausch-langzeitwirkungen.de finden sich ausführliche Informationen dazu.
 
Integration interkultureller Lernerfahrungen
Fragt man danach, wie Interkulturelle Lernerfahrungen entwicklungsbiografisch integriert werden, lassen sich vier Typen ausmachen:
Mosaik (51 Prozent): Die Austauscherfahrung trägt zusammen mit anderen Ereignissen zu einer bestimmten Entwicklung bei. Sie fügt sich als »Mosaikstein« in die gesamte Biografie ein. Der Austausch wird als ein Mosaikstein im Werdegang, ein Grund unter vielen, als ein Teilchen, das auch dazu gehört, als Beitrag zum späteren Lebensweg oder einfach als ein Teil des Ganzen gesehen. 
Domino (31 Prozent): Die Austauscherfahrung ist Anstoß für eine Kette aufbauender Ereignisse und Aktivitäten. Der Austausch wird als Initialzündung, Impulsgeber, Anstoß, Anfang einer Kette, der Anfang von Allem, was einem später besonders wichtig wurde, als Geburtsstunde für Neues, als Grundstein für die Entwicklung eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten gesehen.
Nice to have (12 Prozent): Die Austauscherfahrung hat keine
bemerkenswerten Spuren in der bisherigen Biografie hinterlassen. Der Austausch war ein schöner Urlaub, eine wunderbare Zeit, eine wertvolle Erfahrung, aber wenig prägend bzw. ohne große Auswirkungen.
Wendepunkt (7 Prozent): Die Austauscherfahrung leitet einen Wendepunkt in der bisherigen Biografie ein. Der Austausch stellt eine Kehrtwende, ein Ausbrechen aus eingefahrenen Strukturen, eine totale Veränderung des bisherigen Welt- und Menschenbildes oder den Anfang für ein anderes Leben dar.
Schlussfolgerungen
Aus der Untersuchung lassen sich damit eine Reihe von Schlüssen ziehen: So ist es wissenschaftlich gesichert, dass selbst kurzzeitige interkulturelle Schülerbegegnungen nachhaltige, für die Persönlichkeitsentwicklung positiv zu bezeichnende Wirkungen entfalten. Für manche Schülerinnen und Schüler bewirken internationale Schülerbegegnungsprogramme erstmalige und in ihrer Bedeutung einmalige Erfahrungen, die etwa den weiteren Weg der Entfaltung persönlicher Potenziale wie soziale Kompetenz, Öffnung für interkulturelle Erfahrungen und Lernchancen oder die Erfahrung eigener Selbstwirksamkeit beschleunigen. Dabei gilt: Je professioneller interkulturelle Schülerbegegnungen organisiert, begleitet und moderiert sowie vor- und nachbereitet werden, umso nachhaltiger lassen sich die genannten Wirkungen erzielen. Wenn interkulturelle Schulerbegegnungen und interkultureller Schüleraustausch im Schulprofil und in der Schulkultur verankert sind, umso stabiler und kontinuierlicher lassen sich für alle interessierten Schülerinnen und Schüler solche interkulturellen Erfahrungs-, Lern und Handlungschancen anbieten.
Wie sich im Zuge laufender Pilotvorhaben, beispielsweise dem von der Fachstelle für internationale Jugendarbeit (IJAB) geleiteten Projekt »Interkulturelles Lernfeld Schule« (IKUS), zeigt, müssen Schulen sich gegenüber der im Rahmen der internationalen Jugendarbeit inzwischen erreichten Professionalität stärker
öffnen, um das in der Schule bereits verfügbare interkulturelle Lernpotenzial zur besseren Entfaltung und zum Einsatz zu bringen.
Die Öffnung der Schulen aller Formen - seien es Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Berufsbildende Schulen, Gesamt- und Schwerpunktschulen, Förderschulen oder Gymnasien - für interkulturelle Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten ihrer Schüler, die über die traditionelle Klassenfahrt zur Partnerschule im Ausland hinausreichen, ist deshalb so wichtig, weil mit der Sensibilisierung für interkulturelle Themen und dem Aufbau interkultureller Lern- und Handlungskompetenz gar nicht früh genug begonnen werden kann. Wenn schon im Schulalter die Grundlagen gelegt werden, können Interkulturelle Bildungs-, Ausbildungs- und Trainingsprogramme für die berufsbedingte Kooperation mit ausländischen Mitbürgern im eigenen Land und mit Partnern im Ausland viel besser genutzt und ausgeschöpft werden.
Interkulturelle Erfahrungs-, Lern und Handlungsmöglichkeiten wie sie selbst kurzzeitige interkulturelle Schüleraustausch- und Begegnungsprogramme und entsprechende interkulturelle Lernangebote in der Schule bieten, gehören in einer globalisierten Welt zum zentralen Bildungsauftrag einer jeden pädagogischen Einrichtung, die das Ziel verfolgt, Bildungs- und Ausbildungsangebote bereit zu stellen, die geeignet sind, dass die zukünftige Generation den sich ihr stellenden Anforderungen gewachsen ist. Dies betrifft vorrangig die Entwicklung interkultureller Handlungskompetenz. Professor Alexander Thomas Der Autor lehrte bis 2007 an der Universität Regensburg. Der Beitrag beruht auf den Ergebnissen einer mit Heike Abt und Celine Chang erstellten Studie.
 
Zum Nachlesen
Alexander Thomas / Celine Chang /Heike Abt: Erlebnisse, die verändern, Göttingen 2007. Mehr Informationen zum Thema online: www.forscher-praktiker-dialog.de und www.ikus-projekt.de .
Mit freundlicher Genehmigung aus  P A D aktuell 2 11
 
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